Erfahrungen eines Betreuers des „Student für Euro­pa“


Wie ich zum SfE kam – eine subjektive Rück­schau

An einem Oktoberabend des Jahres 1976 betrat ich, Anfang 20 und frisch einge­schriebener Student der Erziehungswissens­chaften, einen Seminar­raum der Philoso­phischen Fakultät der Universität Mainz. Er war in einem Aus­hang des Vereins „Stu­dent für Europa – Stu­dent für Berlin e.V.“ ge­nannt worden, der für die Betreuung von Ferienfrei­zeiten mit Berliner Kindern und Jugendli­chen warb – mit Anerkennung als das im Studium erforderliche Sozialpraktikum.

Dort begrüßten mich freundlich drei jun­ge Leu­te. Da ich eher zu den Überpünkt­lichen gehöre, warteten wir noch auf wei­tere Bewerber, von denen dann auch noch einige kamen.

Die drei Vereinsvertreter stellten sich namentlich wie auch als „das OK“ vor, das „Organisationskollekt­iv“ der „Arbeitsgemeins­chaft Mainz“ des Student für Europa (kurz „SfE“). Solche AGs unter­hielt die­ser nicht nur hier, sondern auch an ca. 20 weiteren Hochschulstandorten. Das OK war für die Anwerbung und Aus­bildung von Main­zer Studenten zustän­dig, die in der Ferienaktion des Sommers 1977 drei frei­zeitpädagogische Ferien­aufenthalte betreuen soll­ten.

Dieses erste Treffen dien­te vor allem dem gegen­seitigen Kennenlernen; gene­relle Fragen zum Praxisfeld des SfE wur­den ebenso geklärt wie das weitere Vor­gehen. Wir erhielten die Einladung zu wöchentlichen AG-Sitzun­gen in Räum­lichkeiten des Pädagogischen Instituts. Außerdem wurden zwei vorbereitende Wochen­endseminare angekündigt, und jedes der drei Betreu­erteams würde im Früh­sommer „sein“ jeweili­ges Heim be­suchen, in dem der drei Wochen dauern­de Ferienaufenthalt dann statt­finden wür­de. Außer­dem würde jedes Team nach Berlin fahren, um sich dem dort für die An­meldung der Kinder zu­ständigen Be­zirksamt so­wie den Eltern vorzustel­len und einen Kindernach­mittag durchzufüh­ren.

Genau so lief es dann auch ab. Die Gruppe der Interessierten wuchs auf 16 Studen­ten, so dass die erforderliche Be­treuerzahl für die drei Kindergruppen erreicht wurde. Wir erhiel­ten umfassende Informatio­nen zur Geschichte des Ver­eins, zur Zusammenarb­eit mit den Berli­ner Be­hörden und zu den typi­schen Ab­läufen der ver­schiedenen bereits ge­nannten Fahrten. Ein „Ju­ristik-Papier“ vor allem mit Details der zu beachtend­en Aufsichtspflicht wurde durchgearbeitet, und al­tersgerechte Aktivitäten wurden vorgestellt, unter anderem ein „Ortserkund­ungs-Spiel“ zu Beginn, damit die Kinder gruppen­weise das Heim und die Umgebung kennenlernen.

Einen breiten Raum nah­men die pädago­gischen Aspekte ein, denn schließ­lich diente das Ganze nicht nur dazu, das im Studienplan verpflichtend vorgesehene Sozialpraktik­um abzuleisten, sondern auch, universitäre Lernin­halte in der Wirklichkeit zu erpro­ben. Als Rahmen dafür dienten die „Betreu­errichtlinien“ (Vereinskür­zel: BRL) des Ver­eins, ein ca. 60 Seiten umfassen­des Heft im DIN-A-5-For­mat mit allen möglichen As­pekten, u.a. der rechtli­chen Stellung der Betreu­er, den Umgang z.B. mit Aggression und Sexualität sowie Hinweisen zu Ord­nung und Hygiene. Diese BRL waren auch Grundla­ge der Zusammenarbeit des Ver­eins mit den Berli­ner Entsendestellen, die dem SfE zu dieser Zeit pro Jahr ins­gesamt etwa 2.000 Kinder und Jugend­liche an­vertrauten.

Die beiden Wochenendse­minare fanden in der Ver­einszentrale im nahen Bad So­den statt. Sie dien­ten der vertiefenden Vor­bereitung der Ferienaktion sowie der Teamfin­dung, also der Klärung, wer mit wem welchen Aufenthalt betreut. In der Zentrale be­gegneten wir auch wei­teren Mitarbeitern des Vereins, z.B. studenti­schen Vorstandsmitglied­ern, dem haupt­amtlichen Geschäftsführer und Zivil­dienstleistenden, die u.a. für die Auswahl und An­mietung der Heime sorg­ten und das vom Verein herausgege­bene Lieder­buch vertrieben.

Beeindruckend für mich war die gute Or­ganisation des Ganzen: Viele Jahre Rou­tine hatten zu sehr praxisnahen Abläufen ge­führt. Alle Treffen und Sit­zungen wur­den protokoll­iert, Anwesenheitslisten ge­führt, Auslagen z.B. für Büromaterial so­wie ent­standene Fahrtkosten ge­gen Be­leg abgerechnet. Die OK-Mitglieder hat­ten schon eigene Ferienfrei­zeiten betreut und wuss­ten daher genau, welche Fra­gen und Unsicherhei­ten uns Neulinge beschäf­tigten.

Wie unter Pädagogikstu­denten üblich herrschte grundsätzlich Gleichbe­rechtigung: Sowohl im OK wie auch innerhalb der Betreuerteams gab es keinerlei Lei­tungsfunktion. Unterschiedliche Vorstel­lungen wurden diskutiert und zur mehr­heitlich ge­tragenen Kompromisslö­sung geführt.

Zusammen mit fünf Kom­militonen, zwei davon weiblich, übernahm ich schließlich die Betreuung des Ferienaufenthalts im kleinen Ort Malgarten, Landkreis Osna­brück im Juli 1977. Wir betreuten zu sechst 42 Kinder im Alter von 9 bis 11 Jahren aus dem Bezirk Tiergar­ten.

Aufregend wurde es be­reits bei den Fahrten zum Heim und nach Berlin: Erst­mals war „mein“ Team auf sich allein ge­stellt, musste die vorherige Ab­stimmung mit den An­sprechpartnern ebenso selbst organisieren wie die An- und Rückfahrt, die Unter­kunft und den Ablauf vor Ort.

In Malgarten suchten wir bei dieser Gele­genheit auch den Kontakt zur Ge­meinde und der ansässi­gen Geschäftswelt: Im Verein hatte die regionale Akquise von Sach- und Geldspenden eine lange und erfolgreiche Tradition. In der Tat waren auch hier viele bereit, sich an der erfolg­reichen Erholung bedürftiger Kinder aus der damaligen Insel­stadt Ber­lin zu beteili­gen.

Vollends „ernst“ wurde es dann im Som­mer, als der Bus mit den Berliner Kin­dern vor dem Heim an­hielt. Vollversammlung und Verkünden wichtiger erster Regeln, Zimmerauft­eilung, Hilfe beim Aus­packen, Trösten der Weh­leidigen und Einfangen der allzu Forschen … die pädagogische Praxis hatte uns nun drei Wochen lang fest im Griff. Etwas Ruhe im Tagesablauf kehrte al­lenfalls bei den allabendli­chen Teamsitzungen ein, wenn die Kids zum Schla­fen gebracht waren, wir den abge­laufenen Tag Revue passieren ließen und den nächsten planten.

Für mich, frisch bei den Eltern ausgezo­gen, war die Rolle des Erziehungs­berechtigten eine völlig neue Erfahrung. Ich be­trachte sie heute im Rück­blick als we­sentlichen Bei­trag zur weiteren persönli­chen Reifung, denn durch den Perspek­tivwechsel konn­te ich viele Erfahrun­gen des eigenen Heran­wachsens neu einord­nen. Ich beobachte­te unter den Kindern genau die grup­pendynamischen Phäno­mene, mit denen ich in ihrem Alter selbst konfron­tiert war, und reflektierte meinen eigenen Werde­gang nun auf sozusagen höherer Ebene. Auch schmeichelte es meinem Ego sehr, dass z.B. bei einer Ausflugsfahrt ich es war, den der Busfah­rer fragte, ob und wann wir eine Pause machen: Ich war nicht mehr nur Teil­nehmer, sondern verant­wortlich.

Wie der Ferienaufenthalt (Vereinskürzel: „Ah“) schließlich ablief, lässt sich dem ange­fügten „Ah-Bericht“ entnehmen, der als Nachweis für die durchgeführte Maß­nahme sowohl der Vereinszentra­le als auch dem Berliner Bezirksamt zuging. Er war zudem Grundlage für die abschlie­ßende Auswerte­tagung, ein drittes AG-Wo­chenendseminar nach Ferienende, bei dem sich die drei Teams austausch­ten und dem „OK“ Rück­meldung zum Erfolg der genossenen Ausbildung ga­ben. Hier wurden schließlich auch die Prak­tikumsbescheinigungen ausgeteilt.

Dass ich mich dann zur Mitarbeit im ehrenamtlic­hen Organisationskollektiv an­werben ließ, weitere Ah’s betreute, für die AG Mainz viele überregionale SfE-Veranstaltungen be­suchte und schließ­lich in den Bundesvorstand ge­wählt wur­de – ist eine an­dere Geschichte.

Mike P.

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