Die Finanzentwicklung

Der plötzliche Reichtum der armen Stu­denten aus Bad Soden“

Die ersten zehn Jahre der Vereinsarbeit wa­ren gekenn­zeichnet durch ständige Fi­nanzknappheit. So mussten der Betrieb der jeweil­igen Zentrale (später auch der europäi­schen Standor­te), die Fahrtkosten, ggf. Aufwandse­ntschädigungen, der Druck von Betreuerrichtl­inien und weitere organisato­rische Ausgaben aus Eigen­mitteln aufgebracht wer­den. Für die Ferienlag­er galt das ebenfalls zu 20 Prozent. Ab ca. Mitte der 70er Jahre fi­nanzierte sich die als ge­meinnützig aner­kannte Ver­einsarbeit dann im Wesentli­chen aus den mit den Berli­ner Ent­sendestellen verein­barten Tagessätzen, woraus u.a. die Ferienheime bezahlt wurden.

Die erforderlichen Eigenmit­tel erwarb der Verein in sei­nen Anfangsjahren durch al­lerlei krea­tive Aktionen, z.B. Blutspenden der Studentens­chaft, freiwillige Waldarbeit und Spendenak­tionen am Ort der jeweiligen Feri­enaktionen: Viele Betrie­be, Organisationen und auch Privatpersonen waren bereit, die Erholung bedürftiger Kin­der aus der Insel­stadt Berlin mit Sach- und Geldspen­den zu unterstützen. Ab 1969 gab es dann Mittel für Perso­nalausgaben über das Bun­desfamilienministerium so­wie Fördermittel aus dem Budget des Bundes­jugendplans (da­maliger Name, heute „Kinder- und Jugend­plan des Bundes“ (KJP) ).

So wie schon das pädagogi­sche Konzept der einzelnen Aufenthalte wurde auch die Politik des Gesamtver­eins von den unter­schiedlichsten Strömungen beeinflusst. Die ständigen Selbstverständnisd­ebatten erfuh­ren ab 1976 eine be­sondere Dynamik da­durch, dass der Verein nicht über zu wenig, sondern durch die boomenden Liederbuchverk­äufe vermeintlich sogar über zu viele Ei­genmittel verfügte:

Die vom SfE herausgegebe­nen Liederbü­cher waren ur­sprünglich für das Singen in den Feri­enaufenthalten ent­wickelt und lange Zeit über­haupt nicht beworben wor­den. Durch ihre all­jährliche Verteilung an Berliner Kinder und Jugendliche sowie hun­derte stu­dentische Betreu­er in ganz Westdeutsch­land, die sie natür­lich auch später benutzten, in der Wohnge­meinschaft weitergaben etc., entwi­ckelte sich eine immer schneller wach­sende Nach­frage, wel­che erhebliche wei­tere Eigenmittel erwirt­schaftete. Die ab Mitte der 70er Jahre erfolgende Skan­dalisierung eini­ger Liedtexte durch konservative Politiker und entsprechende Presse­artikel wirkte sich ebenfalls sehr verkaufsfördernd aus.

Lagen die Liederbuchver­käufe bis zum Jahr 1974 noch bei insgesamt 30.000 Stück, so wa­ren es drei Jah­re später weitere 500.000 inkl. des in diesem Som­mer erschienenen zweiten Bands „Liederkiste“, und sie stiegen weiter. So war es kein Wun­der, dass das Fi­nanzamt dem Verein schon 1976 die Auflage mach­te, den inzwi­schen marktrelevanten Lie­derbuchvertrieb von der steuerbegünstigt­en Arbeit des gemeinnützigen e.V. zu tren­nen. Aus praktischen Gründen mündete das in der Gründung einer komplett vereinseige­nen Verlags-GmbH, be­schlossen durch die Herbst-Mitgliederver­sammlung 1977, umge­setzt 1978. Die­se GmbH residiert­e in eige­nen Räumen in der Nachbarschaft, hatte bald mehre­re teils hauptamtliche Mit­arbeiter und wurde vom Vereinsgeschäftsführer mit geleitet.

Die gleiche Herbst-MV 1977 erhöhte mit dem Argument, dass „offensichtlich ge­nug Geld da“ wäre, die monatli­chen Aufwandsentschädig­ungen für Vorstände um je 150 auf 800 DM, die für OK-Mitglieder von 125 auf 225 DM und auch die für überre­gionale Mitglieder um 100 auf 400 DM, „um die Diffe­renz zu den OK zu wahren“. Zur Bestim­mung der maxi­malen Zahl be­zahlter OK-Mit­glieder pro AG wurde wiederum der Schlüs­sel „eins zu sechs“ festlegt: Pro sechs aus­gebildeten Betreu­ern jeweils ein OKler. Die­se Beschlüsse sollten zunächst bis zur Früh­jahrs-MV 1978 gelten. Der Vorstand wurde beauf­tragt, alternative Mittel­verwendungen zu erarbeiten und dort vorzulegen.

Schon bis dahin kam der größte Teil der Ei­genmittel des Vereins direkt der päd­agogischen Arbeit zugute. Auf Wunsch der Betreu­er wurden z.B. immer weniger vergleichswei­se günsti­ge Ju­gendherbergen angemietet, sondern besser ausgestattet­e und damit teu­rere Häuser. So lag der Ta­gessatz der Hei­me pro Per­son im Sommer 1976 im Durch­schnitt bei 19,13 DM – Berlin zahlte jedoch nur 17,70 DM. Das führte zu ei­nem vom Ver­ein zu tragen­den Zu­schussbedarf von rund 56.000,- DM allein für die Heime dieser ei­nen Feri­enaktion.

Zur Frühjahrs-MV 1978 leg­ten Vorstand und Geschäfts­führung dann in der Tat eine Alter­native vor: Als „zweite, ständige Tagungs­stätte“ soll­te neben der Zen­trale in Bad So­den ein eige­nes Heim ge­kauft werden, kon­kret ein ehemaliges Hotel im Detmol­der Ortsteil Hiddesen im geografisch für viele AGs günstig gele­genen Teutobur­ger Wald. Dort könnten in ei­genen Mo­dell-Aufenthalten pädago­gische Konzepte ohne störenden ex­ternen Heimträger durchgeführt werden, For­tbildungs­ver­anstal­tungen unter selbstbe­stimmten örtlichen Voraus­setzungen, und auch die Mit­gliederversammlungen hätten dann einen festen Ort. So wurde es gemäß An­trag Nr. 43 auch beschlos­sen. Die Ge­samtkosten soll­ten 600.000 DM nicht über­schreiten, einschließlich des nötigen Um­baus gemäß den Anforderungen an eine Ta­gungsstätte.

Die Zahl der OK‘ler wuchs von 24 im März 1977 auf 65 im März 1978, vermut­lich auch, weil 225 DM mtl. für Studenten jener Tage einen nicht zu verachten­den Bei­trag zum Le­bensunterhalt darstellten.


Leichtfertigkeit gepaart mit Unwissenheit im Umgang mit den Finanzen

In den Jahren 1978 bis 1980 wurde aufgrund der Überzeugung, dass genug Geld da wäre, die groß­zügi­ge Ausgabenpolitik fortgesetzt. Weiterhin wurden teurere Heime angemietet, jeder Ferienaufenthalt bekam aus Eigen­mit­teln einen zusätzlichen Betreuer finanziert, zusätzliche Wochen­end­seminare vieler AGs wurden be­willigt, die bei großen Bauvorhaben übliche Kostenexplosion für den Heimumbau in Hiddesen hin­ge­nom­men. Auf Beschwerden etwa über die Güte eines Heims wird mit extra bewilligten Geldern reagiert.

Vorsichtige Mahnungen der hauptamtlichen Vereinsver­treter, vor allem des Vor­stands, ange­sichts der vie­len Ausgaben auch die Ein­nahmeseite zu stärken, wur­den von der Mitgliedervers­ammlung beiseite gewischt: Manche störten sich so­wieso an den hohen Eigen­mitteln, die der Verlag erwirtschafte­te, und fürchteten eine „Überfremdung der pädagog­ischen Arbeit durch das Liederbuchkapit­al“. An­dere dachten haupt­sächlich an die eigene Betroffen­heit (siehe den sprung­haften An­stieg bezahlter OK‘ler seit der Erhöhung ihrer Bezü­ge um 80%), und viele der auf­grund der studentischen Fluktuation häufig wechselnd­en Mit­glieder kannten auch nicht mehr den Hintergrund der Erhö­hung ih­rer Bezüge oder der (als Al­ternative dazu ge­dachten) Anschaffung der Tagungs­stätte in Hiddesen. Der mehrfach gestellte wich­tige An­trag, dem durch Ver­ein und Verlag doppelt be­lasteten Geschäftsfüh­rer ei­nen professionellen Kollegen nur für die Verlags­geschäfte zur Seite zu stellen, wurde jahrelang vertagt, im­mer wieder verscho­ben und im Ergebnis nichtbefasst.

Die verkaufte Liederbuchauf­lage stieg je­doch aufgrund langsam einsetzender Markt­sättigung längst nicht mehr so exponentiell an wie in den Vorjahren. Infolge mangelnder Führung der Verlagsgeschäfte wurde das viel zu spät bemerkt: Auslief­erungen in sechsstelliger Höhe blieben lange unbe­zahlt, Buchhaltung und Mahnwesen hinkten viele Monate hinterher, es gab keine belastbaren Zahlen. Bis zum bitteren Erwachen 1981 hielt sich das Gerücht, dass der Verein stets genug Geld hätte.


Deutlichere Finanzproble­me Anfang 1981

Schon bei der außerordentli­chen Frühjahrs-MV im Janu­ar 1981 zeichneten sich zu­nehmende Pro­bleme bei den Finanzen ab: Zum einen war infolge der durch die zweite Öl­preiskrise 1979 ausgelös­ten Rezession vom Berliner Senat eine er­hebliche Mittel­kürzung verfügt wor­den. Zwar waren die Betreuungs­zahlen für 1981 mit dem SfE bereits vertrag­lich verein­bart, für die Zukunft aller­dings wur­den drastische Re­duzierungen befürchtet, die dann für 1982 auch eintra­ten.

Zum anderen zeigten sich Probleme, die er­heblichen Kosten der Vereinsarbeit weiterhin vom Verein aus zu tragen, der über die Verlagsg­ewinne erst nach de­ren (hohen) Ver­steuerung verfügte. So stellte die Ge­schäftsleitung den Antrag, dass die bislang vom Verein ausgezahl­ten OK-Bezüge in Höhe von jährlich ca. 180.000 DM im Verlag ange­siedelt und dort pau­schal versteuert werden. Die OK sollten for­mell als Verlags­mitarbeiter geführt werden, deren Vergütung sich ge­winnmindernd auswirkt.

Schließlich wurde auch deut­lich, dass der angestrebte kostendeckende Betrieb der Ta­gungsstätte in Hiddesen mit knapp 60 Betten auch nicht ansatzweise er­reicht wurde. Die haupt­amtlichen Mitarbeiter dort beschwer­ten sich über die schlechten Ar­beitsbedingungen und man­gelnde Perspektiven. Den­noch wur­den von den Mit­gliedern breite Diskussionen über die generellen Vereins­ziele ge­führt, um das Haus sinnvoll zu nutzen, bis hin zur Ein­richtung ei­nes festen hauptamtlichen Pädagogent­eams am Ort, eventuell in Form ei­nes Bildungs­werks als (damals neu mögli­cher) „gemeinnütziger GmbH“.


Sparbeschlüsse im Früh­jahr 1981

Zur Frühjahrs-MV im April 1981 waren die Liquiditätsp­robleme so deutlich geword­en, dass Beschlüsse zu viel­fältigen Sparmaß­nahmen er­folgten. Die OK-Be­züge wur­den um 25 DM monatlich ge­kürzt und für zwei Monate ausgesetzt. Die inzwischen in der Vergütungsgruppe BAT-IVa geführten Stellen der drei Vorsitz­enden wur­den aus diesem Tarif ge­nommen und auf pauschale 1.000 DM monat­lich (plus 300 DM pro Kind) gekürzt. Der BAT-Status der Verlags­mitarbeiter sollte geprüft, evtl. eine Buchhalterstelle gestrichen werden. Auswer­tetagungen und Nachbereitungstreffen wur­den als nicht mehr bezahlbar abgeschafft.

In etlichen Bereichen erfolg­ten die Kürzun­gen allerdings vergleichsweise nur „kosme­tisch“. So wurde am defizitä­ren und hochbe­lasteten Frei­zeitheim in Hid­desen festge­halten, lediglich die Haus­meisterstelle wurde „sobald als möglich“ gestrichen und die Hei­zungskosten gede­ckelt. Für Übernachtungen in der Zen­trale sollte eigene Bettwäsche mit­gebracht werden, ta­rifliche Mitarbeiter muss­ten 3,50 DM für das Mittagessen bezahlen. Die Fahrkostenpauscha­le wur­de reduziert und dem Ge­schäftsführer eine strengere Handhabung seiner Über­stundenabrechnungen ver­ordnet. Eine geplante Stadt­randerholung wurde abge­sagt und eine Sanierungsk­ommission eingerich­tet.

Wie schon in den Jahren davor erfolgten kei­nerlei Be­schlüsse zur Verbesserung der Ein­nahmeseite.


Schock während der Feri­enaktion 1981

Mitten in der Ferienaktion teilte plötzlich die Hausbank „Bank für Gemeinwirt­schaft (BfG)“ mit: Die Konten von Verein und Verlag stün­den mit zusammen ca. 1,7 Millio­nen DM im Soll und seien mit sofortiger Wirkung ge­sperrt. Die Debet­salden seien unverzüg­lich auszugleichen, um die Verwertung der Si­cherheiten abzuwenden. Der Geschäftsfüh­rer hatte diese Schreiben zwar erhalten, den Vor­stand aber nicht zeit­nah unterrichtet.

In dieser Situation war es vorrangiges Ziel des Vor­stands, die laufende Betreu­ungsaktion noch ordentlich abzuwi­ckeln, um zu verhin­dern, dass alle Kinder und Jugendlichen aus den noch unbezahlten Heimen mit Dutzenden Reisebussen ab­geholt und vorzeitig zurück nach Berlin gebracht werden mussten. Solch ein Riesen-Eklat musste unbedingt ver­mieden wer­den. Das wurde auch der BfG in mehreren hochnot­peinlichen Gesprä­chen verdeutlicht, die sich letztendlich kompromissber­eit zeigte. Dafür mussten Geschäftsführer und Vor­stand aber mit selbstschuld­nerischen Bürgschaften in unbegrenzter Höhe in die persönliche Haf­tung eintre­ten. Hilfreich zur Überbrü­ckung des Liquiditäts-Eng­passes und damit zur Sicher­ung der Ferienaktion war auch ein wei­teres Darle­hen von 300.000 DM, das der Berliner Senat unter den gleichen Bedingun­gen kurz­fristig gewährte.

So konnte die Ferienaktion 1981 ohne grö­ßere Zwi­schenfälle zu Ende geführt werden. Die man­gelnde Li­quidität führte jedoch dazu, dass die Bank laufende Dau­eraufträge wie z.B. für Strom und Telefon der Zentrale, des Verlags und in Hiddesen nur nach Einzelprü­fung bzw. nach entsprechenden Zah­lungseingängen freigab. Schmerzhafte Entscheidung­en waren zu treffen: So mussten zuge­sagte Extra-Entgelte für die ca. 430 Be­treuer gestrichen, jegliche weiteren Sonderausgab­en abgelehnt und Mitarbeiterge­hälter aus der Not heraus verspätet ausgezahlt wer­den.


Das Ende des Vereins

Der Schuldenberg türmte sich nach den Er­kenntnissen der Sanierungskommissi­on in Wahr­heit noch viel höher auf, da mangels aktueller Buchführung jahrelang noch keine Steuern für die erhebli­chen Verlagsgewinne ge­zahlt worden waren: Um das allein für die Vergangenheit auszugleichen, würden 1982 und 1983 wei­tere hohe Be­träge fällig. Dazu kam in der damali­gen Hochzinsphase mit ca. 16 % auf die ausste­hende Schuld eine zusätzlic­he jährliche Zins­belastung in deut­lich sechsstelliger Höhe.

Zu allem Überfluss teilte der Berliner Senat mit, dass die zu betreuende Kinder­zahl für das Folgejahr auf nur noch 1.000 Plätze hal­biert werden sollte, was u.a. auch die Hal­bierung der anteiligen Ver­waltungskostenpauschale bedeu­tet hätte. Auch das Bundesfami­lienministerium reduzierte in der allgemein schlechten Wirtschaftslage die jahrelang an den ge­meinnützigen Verein ge­zahlten Zu­schüsse ausge­rechnet zu diesem Zeitpunkt deutlich. Allein diese beiden Entwicklun­gen hätten den Verein auch ohne dessen selbst­verursachte Schulden­falle in ernsthafte Schwierig­keiten gebracht.

Angesichts der aussichtslo­sen Gesamtlage beschloss schließlich eine außeror­dentliche Mitgliedervers­ammlung im Januar 1982 den Verkauf des Hauses in Hiddesen und die Möglich­keit des Verkaufs der Bad Sodener Vereinszentrale. Die bereits durch den Vor­stand erfolgte Absage der 1982er Ferienakti­on gegen­über dem Berliner Senat wurde ge­billigt und die Not­wendigkeit der Kündigung aller Mitarbeiter bestätigt. Um Vorstand und Ge­schäftsführung zu ermögli­chen, die per­sönlich geleis­teten Bürgschaften mög­lichst auszugleichen, wurde ihnen weitgehende Hand­lungsfreiheit eingeräumt, ins­besondere auch bei der Ver­äußerung der Verlags-GmbH einschl. Herausge­berrechten, Waren­bestand und of­fenen Kundenforde­rungen. Der Liederbuchver­lag wurde mit allen Rech­ten an den BUND-Verlag in Köln verkauft.

Das ohnehin drastisch ge­kürzte Betreuungs­kontingent des SfE für 1982 wurde sei­tens Berlin an andere Orga­nisationen vergeben, u.a. an den Kölner Jugendfahrtend­ienst.

Durch die beschlossenen Verkäufe konnte der von Berlin gewährte Kredit vor­zeitig ab­gelöst werden. Jah­re später entließ dann auch die BfG die Bürgen aus ihrer Haftung: Angesichts jahre­langer guter Geschäftsbezieh­ungen mit dem SfE schrieben sie ver­bleibende Verluste von ca. 350.000 DM ab.

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