Die Entstehung des LIEDERBUCH

Die Anfänge

Gemeinsames Singen in Ferienauf­enthalten war üblich, so etwas gehör­te Ende der 50er- und An­fang der 60er-Jahre ein­fach dazu. Dazu wurde in den damaligen Be­treuerrichtlinien des SfE eine Liste von Liedervor­schlägen abge­druckt, ab 1967 gab es eine eigenständi­ge Samm­lung (ge­nannt „Lie­derblätter“) mit 28 Lie­dern auf neun Seiten. In ihr waren hauptsäch­lich Lie­der aus dem euro­päi­schen Sprachraum ent­halten, alle mit hand­ge­schrie­benen Noten und liebe­voll mit kleinen Zeich­nun­gen er­gänzt.
(Alle neun Seiten der “Lieder­blätter” 1967 sind hier doku­mentiert.)

Liederblätter, 1967
Beispielseite der Liederblätter 1967

Daneben existierte ab 1967 das „Liederheft“. Es enthielt nur Texte, weil die Melodien wohl „allgemein bekannt“ waren. Dieses Heft wurde jährlich zur Betreuungsaktion neu auf Wachsmatrize getippt, per Hand abgezogen und zu einem Heft zusammengeheftet. Die Anzahl der Lieder schwankte von Jahr zu Jahr zwischen 62 und 107.

Liederheft 1969
Beispielseite aus dem Liederheft 1969

Für mehrere Tausend Hefte, die für die Aufenthalte benötigt wurden, war das eine mühselige Arbeit, denn mit einer Wachsmatrize konnte man nur gut 1500 Drucke machen.1 So wurde beschlossen, für die Aufenthalte 1970 eine Liedersammlung im Offsetdruck herzustellen.

Die erste Auflage 1970 des LIE­DERBUCH2 hatte 56 Seiten, au­ßen einen Pappeinband mit zwei Heft­klam­m­ern und einem Ti­telbild in Schwarz-weiß. Es enthielt 110 Lieder, die meis­ten mit handgeschrie­benen Noten, alle Strophen in Schreib­maschinen­schrift. Nur bei wenigen Liedern gab es er­gänzende Hinweise (z.B. kleine Anleitungen für Bewegungslie­der). Der Frank­furter Medizin­student Ernst Hos­sen­felder, langjäh­riges Mitglied im SfE und dort für unter­schiedlichste Aufgaben zuständig, u.a. auch für das Drucken, über­nahm es, die bishe­rige Aus­wahl an Lie­dern zu überar­beiten und zu einem Heft zusam­menzustell­en.3

Viele der im Verein bekannten Lieder wurden für das „neue LIEDERBUCH“ (so der Titel) übernom­men. Im ersten Teil (34 Lieder) sammelten sich Kinderlieder mit deutschen und fremd­sprachigen Texten. Der zweite Teil (76 Lieder) war eher für die Jugendlichen ge­dacht. Hier waren viele Spiritu­als, bekannte Fahr­tenlieder, aber auch Arbeiterlieder abge­druckt. Dazu ka­men drei Lieder der Beatles4, zwei von Wolf Bier­mann5, ein Song von Bob Dylan6. Aber auch „Die Moor­soldaten“ und da­mals gängige Titel aus der ame­rikanischen Folkbewegung fan­den Eingang in dieses Buch. So wurde dar­aus am Ende eine Mi­schung von Liedern, die immer schon im Verein gesungen wur­den, ergänzt durch aktuelle Lieder, die Ende der 60er Jahre wich­tig waren.

Vom ersten LIEDERBUCH wur­den für den Gebrauch in den Fe­rienaufenthalten etwa 3000 Exemplare ge­druckt. Am Ende nahmen die Betreuer die restli­chen Hefte, falls die Kinder oder Jugendlichen sie nicht wollten, mit nach Hause. So verteilten sich die ersten Ex­emplare des Liederbuches in den Wohngemeins­chaften und an den Hochschul­orten der zwischen 500 und 800 studen­tischen Betreuer.

Die zweite (1971) bzw. die drit­te Auflage (1972) unterschied­en sich in der Gestaltung nur unwesentlich von der ersten Aufla­ge. Die Anzahl der Lieder stieg über 118 auf 139 Lieder, die Seitenzahl wuchs auf 92 Seiten, das Titelbild bekam ei­nen dy­namischen Schriftzug, der diesem Buch lange den Na­men „Lie­derbuch Student für Europa“ (oder auch kurz: „Stu­dent“) gab. Der Luftballon für das „Michelele“, das Logo des Vereins, wur­de in die heute be­kannte Form gebracht und ab der dritten Auflage sogar far­big ge­druckt. Gemäß des herr­schenden Zeit­geistes kamen u.a. fünf Lieder von Franz Jo­sef Degenhardt7 dazu, ein Kin­derlied von Dieter Süverkrüp8, drei Lieder mit so­zialistischem Gedankengut9, aber auch ein irisches Sauflied.10

Zum ersten Mal wird 1972 in zwei Vorworten11 auf die Aus­wahl der Lieder eingegangen. Lie­der sollten nicht unkritisch gesungen werden („Warum brüllen Kinder und Jugend­liche im Bus immer dieselben Lie­der?“), sondern hätten auch „Texte, über die es sich lohnt nachzudenken.“ Somit bildete sich jetzt auch im Liederbuch ab, was damals in der Studen­tenschaft üb­lich war: Lieder sind Mittel zur Reflexion über gesell­schaftliche Verhältnisse.

Seit 1971 gab es Stimmen in Berlin unter CDU-Stadt­räten und CDU-Abgeordneten, die die Zusammenar­beit des SfE mit dem Senat (damals SPD) kritisch sa­hen. Im Herbst 1973 eskalierte der Streit. Der SfE ver­pflichtete sich aufgrund po­litischen Drucks aus Berlin, das Liederbuch in seinen Aufent­halten nicht mehr zu verwen­den. Außerdem werde es über­arbeitet.

Ganz im Gegensatz zur Kritik aus dem politischen La­ger be­kam der Verein SfE ab 1971 zu­erst vereinzelte, dann immer mehr Anfragen nach dem Lie­derbuch. So druckte man „eini­ge Exem­plare mehr“ als für die Auf­enthalte gebraucht wurden und ver­kaufte sie auf An­frage. Damit konnte man sich ein klei­nes fi­nanzielles Polster schaf­fen, denn wie jeder gemein­nützige Ver­ein brauchte man Eigenmittel. So wurden bis Mitte 1975 insge­samt etwa 30.000 Exemplare12 zum Ei­genbedarf und zum Ver­kauf gedruckt.

Fortsetzung im Kapitel “Der große Erfolg des LIEDERBUCH

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Anmerkungen:

1   Bremberger, Bernhard: Die Liederbücher des Student für Europa e.V. Zur Genese und Geschichte einer Liederbuchfamilie – Magisterarbeit Berlin 1984, S. 97 und S. 131

2   Das Liederbuch des SfE-SfB war ein Liederbuch, das ab 1971 einfach den Namen LIEDERBUCH (immer mit Großbuchstaben) trug. Andere Liederbücher hießen z.B. DIE MUNDORGEL oder DER TURM. Wenn also im weiteren Verlauf dieses Artikels das Wort LIEDERBUCH mit Großbuchstaben geschrieben wird, ist das erste Liederbuch des SfE-SfB gemeint.

3   Ernst Hossenfelder in einem Leserbrief in der „Frankfurter Rundschau“ vom 6. 8. 1979, hier oder abgedruckt in:
Bremberger, Bernhard: Musikzensur – Eine Annäherung an die Grenzen des Erlaubten in der Musik. Die Auseinandersetzung um die „Student-für-Europa“-Liederbücher. Berlin: Schmengler 1990 – zugl.: Bamberg, Univ. Diss., 1988. ISBN 3-9801643-2-2, S. 350

4   Obladi Oblada, Yesterday, Hey Jude (war auch schon im Liederheft 1969 enthalten)

5   Sonntag; André Francois, der Friedensclown

6   Blowin’ In The Wind (war auch schon im Liederheft 1969 enthalten)

7   Für Mikis Theodorakis, P.T. aus Arizona, Deutscher Sonntag, Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, Tarantella

8   Der Baggerführer Willibald

9   Die Internationale, Das Einheitsfrontlied, Weltjugendlied

10   Whiskey In The Jar

11   Diese wurden bis zur 11. Auflage abgedruckt, aber 1996 in der 12. Auflage entfernt.

12   Bremberger 1984 (a.a.O.), S. 133

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